Christian Lindner hat keine Berührungsängste – Landtagswahl 2023 HESSEN

14.09.2023

Christian Lindner hat keine Berührungsängste – Landtagswahl 2023 HESSEN

BAD HOMBURG – Wahlkampftermin der FDP mit Bundesfinanzminister – 450 Zuhörer auf dem Rathausplatz

Ganz nah an das Wählervolk wagt sich Bundesfinanzminister Christian Lindner (FDP) auf dem Rathausplatz heran. FOTO: hillebrecht

Als auf dem Rathausplatz schon mittags Soundcheck auf der großen Bühne gemacht wird, weiß noch niemand, dass der Bundesfinanzminister diese gar nicht betreten wird. Zur Überraschung seiner Personenschützer tritt Christian Lindner, als er gestern Abend nach den lokalen FDP-Größen und seiner Kabinettskollegin Bettina Stark-Watzinger endlich mit Sprechen dran ist, ganz nah an die Absperrgitter und legt los. Ein Regierungsmitglied zum Anfassen.

Das tut aber niemand; stattdessen werden Smartphones gezückt – Selfies mit dem Minister ganz nah, der Minister allein oder ein Rundum-Filmchen. Auffallend viele junge Leute sind in den abgesperrten Bereich gekommen, ein leichter Männer-Überschuss ist zu bemerken. Am Ende werden die liberalen Wahlkämpfer 450 Zuschauer zählen, die vor oder hinter den Gittern stehen.

Beim Warm-up ab 16 Uhr ist es noch etwas leerer auf und hinter den Bierzelt-Garnituren. Der Bundesfinanzminister kommt direkt aus Berlin, heißt es, und der Flieger hat Verspätung. Derweil bringen der Bad Homburger FDP-Chef Tim Hordorff und der Fraktionsvorsitzende Philipp Herbold, der am 8. Oktober als Direktkandidat für den Wahlkreis 23 in den Landtag gewählt werden möchte, schon mal die wesentlichen Themen zur Sprache.

Die Politiker sprechen laut, trotz Mikro. Schließlich gilt es, am Wahltag präsent zu sein – Umfragen sehen die FDP bei der Landtagswahl bei 6 Prozent, es könnte eng werden. Flüchtlinge ohne Bleibe-Perspektive sollen nicht mehr aufgenommen werden, nennt Herbold einen Punkt und erntet Applaus.

Auch Hordorff setzt in der Kommune an und hat sich die Große Koalition in Bad Homburg als Kritikempfängerin ausgesucht. „Der Wohlstand von einst ist dahin!“, ruft er ins Publikum. Parkgebühren, Hundesteuer – „alles wird teurer“. Und dass tagsüber vor der Hölderlinschule Tempo 30 gilt, sei ein „Ausspielen von Autofahrern gegen Radler“.

Auch Dr. Stefan Naas kann laut. Der hessische Fraktionsvorsitzende aus Steinbach begrüßt die Liberalen aus seiner Stadt extra – so viel Lokalpatriotismus muss sein. Zig Plakate mit seinem grimmig dreinblickenden Konterfei säumen die Wahlkampf-Arena. „Ich werde oft gefragt, warum ich da so ernst gucke“, wettert Naas. „Aber mir ist nicht zum Lächeln.“ Naas will Rot-Grün im Land ablösen – und die IAA zurück nach Frankfurt holen. Applaus.

Trotz höchster Sicherheitsstufe mit zahlreichen BKA-Beamten dürfen Interessierte an die Absperrgitter vor dem Coresis-Gebäude gegenüber dem Rathaus und damit nah ans Geschehen dran. Ein einzelner Störer steht dort; „Autos raus!“, ruft er.

Neben der großen Bühne zum Marienbader Platz hin ist Promi-Zone – dort darf niemand hin. Hier taucht plötzlich Christian Lindner auf, der wahrscheinlich im Taxi dort abgesetzt wurde. Er setzt sich auf die Promibank, auch Bettina Stark-Watzinger ist inzwischen da. Die Bundesforschungsministerin mit der runden Brille hält die Lautstärke, geht in die Knie, um das Gesagte zu unterstreichen. Man dürfe die CDU nicht allein lassen, sagt sie. Und Tarek Al-Wazir, der grüne Wirtschaftsminister Hessens, habe ja in zehn Jahren keine einzige Straße gebaut . . .

Dann die letzte Staffelstab-Übergabe. Lindner begibt sich direkt ans Absperrgitter. Seine Stimme ist fest, aber nicht so lärmig wie die der Lokalen. Im Nu ist er umringt von sonnenbebrillten Sicherheitskräften. Wer vorne sitzt, wird von seinen hellblauen Augen zeitweise direkt angeschaut. Lindner spricht frei wie gedruckt. Seine Sicht zur Finte der grünen Familienministerin zur Kindergrundsicherung, Spitzensteuersatz, Atomkraft, Flüchtlinge, Klimakleber – vieles, was Lindner sagt, wird mit Applaus goutiert. Inzwischen hat sich allerdings auch eine Frau mit Megafon außen postiert, die dagegen redet. Lindner wird unmerklich etwas lauter. Gegen 18 Uhr hat er immer noch etwas zu sagen – obwohl er zu dieser Zeit schon in Wiesbaden zu einem weiteren Termin erwartet wird.

Quellenangabe: Usinger Neue Presse vom 14.09.2023, Seite 8