Klare Worte eines Fachmanns zur Situation in der Ukraine

06.05.2024

Montag, 6. Mai 2024, Usinger Neue Presse / Lokales


Klare Worte eines Fachmanns zur Situation in der Ukraine


USINGEN – Alexander Müller sieht derzeit wenig Chancen auf eine
friedliche Lösung im Kriegsgebiet

VON FRANK SALTENBERGER

„Krieg in Europa – Wie geht es weiter?“ Ja, wenn das einer wüsste. Vor allem, wie
kommt man wieder aus dem Krieg heraus, wie kann man ihn beenden? Diese Fragen
beschäftigen zurzeit viele Menschen in Europa, und es stehen sich zwei Aktionsfelder
gegenüber: Diplomatie oder Schlachtfeld.
Alexander Müller sitzt für die FDP im Bundestag, ist Mitglied unter anderem im Verteidi‐
gungsausschuss, Sprecher für Wehrtechnik und Beschaffungswesen seiner Fraktion
sowie deren verteidigungspolitischer Sprecher. Ferner ist er Oberstleutnant der Reserve
und diplomierter Informatiker, und er war wiederholt in Kiew.
Informativ so hoch aufgerüstete sprach er in der Usinger Hugenottenkirche auf Einla‐
dung der FDP-Verbände Usingen und Wehrheim über die oben angeführte Frage: „Krieg
in Europa, wie geht es weiter“.
Was die Diplomatie betrifft, äußerte er sich mehr als skeptisch. Sicher ist er, dass Putin
bis auf Weiteres kein Interesse an einer friedlichen Lösung oder auch nur an einer Waf‐
fenruhe hat. Die Haltung, man müsse „nur nett zu Putin sein, dann ist er auch nett zu
uns“, hält Müller für naiv. Selbst wenn er mit Gewinn der Ostukraine aus dem Krieg her‐
auskomme und dann „soft wäre, ist völlig naiv“. Er würde weitermachen, schätzt Müller
die Situation ein. Dann wären Moldau und das Baltikum dran, nicht unmittelbar durch mi‐
litärische Angriffe: „Er würde erst einmal aufwiegeln“, mit Desinformationen Aufstände
anzetteln. Aber auch für die Ukrainer sieht er keine Option eines Waffenstillstandes und
Verhandlungen. „Die Ukrainer trauen keiner russischen Unterschrift mehr“, erinnerte der
liberale Politiker daran, dass die Ukraine seine Atomwaffen an Russland abgegeben,
dass ihm im Gegenzug Souveränität und Garantien gegeben habe. Zusagen zählten für
Putin, der gegen Völkerrecht verstoße und jeden Tag Kriegsverbrechen begehe, nicht.
Und das könne noch lange so weitergehen, denn solange keine diplomatischen Lösun‐
gen vorstellbar sind, müsse die Ukraine weiterkämpfen. Ohne westliche Hilfe sei sie
gegen Russland allerdings machtlos.
Dass die Vereinigten Staaten jetzt wieder Waffen liefern, begrüßte Müller, ebenso die
Umorientierung Trumps. Westliche Waffen seien den russischen Waffen überlegen, des‐
halb sprach sich Müller auch für Taurus-Lieferungen aus. Deutschland sei neben den
USA der Hauptunterstützer der Ukraine, allerdings mit Geld. Frankreich leiste trotz der
Rhetorik seines Präsidenten weniger Hilfe. „Macron will Putin verunsichern“, sagte Mül‐
ler zu dessen Ankündigung, gegebenenfalls Bodentruppen an die Front zu schicken.
Gleichzeitig bedauerte Müller das Beschwichtigen des Kanzlers dazu und die fortgesetz‐
te Weigerung, Taurus-Raketen zu liefern. Dies nicht zuletzt mit dem Argument, die
Ukraine könne auch Moskau damit erreichen. „Die Ukrainer haben sich bisher an alle
Absprachen gehalten.“
Zur Bundeswehr und deren Einsatzfähigkeit äußerte sich der Experte ebenfalls: „Im
Ernstfall ist die Bundeswehr verteidigungsfähig“, so seine klare Aussage. Dass bei‐
spielsweise Panzer nicht einsatzfähig seien, liege an Betriebsvorschriften, die im Ernst‐
fall keine Rolle spielten. Auch Munition für Gewehre und Pistolen sei genug da, nur an
Artilleriegeschosse mangele es und solche, die Rheinmetall in Afrika produziere, dürften
nicht an die Ukraine geliefert werden.
Was die Wiedereinführung der Wehrpflicht betrifft, äußerte sich Müller ebenfalls skep‐
tisch. Das Problem der Wehrgerechtigkeit habe damals zur Abschaffung geführt, und
auch heute könnten nicht alle Wehrpflichtigen auch eingezogen werden. Zudem müss‐
ten Gesetze geändert werden, die auch die Rechte und Pflichten von Männern und
Frauen regelten. Aber Heimatschutzverbände, vorwiegend durch Reservisten gestellt,
könnten Aufgaben im Inneren übernehmen, so beispielsweise die Bewachung von wich‐
tigen Einrichtungen. „Reservisten mit Interesse sind genug da.“
Nach den Worten des Referenten beteiligten sich viele Zuhörer mit Beiträgen und Fra‐
gen, die in die Problematik auch China, dessen Einfluss auf Putin und seine Absichten
bezüglich Taiwans einbezogen. Insgesamt überwog die Sorge darüber, wie es weiter‐
geht, für das Hissen weißer Flaggen in der Ukraine sprach sich dennoch keiner aus.